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Weniger ist mehr, viel mehr: eine Auszeit im Stern Luzern

Die Gastronomie steht vor nie da gewesenen Herausforderungen, welche die Chance bieten, Gastfreundschaft neu zu denken. Der Stern in Luzern hat die letzten Monate dazu genutzt, um in den alten Mauern einen Neuanfang zu wagen. Wie jener wohl schmeckt? Regional mit einer Prise Flexibilität serviert in einem jungen coolen Ambiente ohne Schnickschnack. Hereinspaziert!

Im Innern des Sterns begrüssen mich wummernde Bässe. Die Kerzen, Tischläufer und Weinflaschen hinter der Bar sind einer klaren Coolness gewichen. Vor eineinhalb Jahren wehte ein frischer Wind durch die Küche der ehemaligen Traditionsbeiz. Die bekannten Weckgläser wurden kurzerhand mit einer jungen reduzierten Karte ersetzt – bis zur Zwangspause. Nun, nach der Wiedereröffnung im September, spiegelt sich der Aufbruch auch im Ambiente wider. Wie der Neuanfang schmeckt, das will ich von Laura und Martin wissen. Laura leitet die Marketing-Geschicke der Tavolago, Martin den Betrieb. Die beiden haben während den letzten Monaten oft die Köpfe zusammen gesteckt, um die vielen Puzzleteile, welche das kulinarische Erlebnis ausmachen, zusammenzusetzen: «Die Kochlöffel schwinge ich selten,» lacht Martin, «ich weiss jedoch, was der Gast will: die Karte auf einen Blick erfassen, überrascht werden, wissen, woher die Produkte kommen. Unsere Teller sind klar und flexibel, wie wir.» Nicht nur die Teller lassen aufhorchen, auch die einzelnen Räume überraschen mit gezielten Akzenten und einem Soundtrack, welcher einen Hauch der grossen weiten Welt mit der lokalen Bodenständigkeit verbindet. Die einzelnen Teile des abstrakten Gemäldes hat Laura fest im Blick: «Um die Geschichten zu skizzieren, welche wir in unseren Betrieben erzählen wollen, nehmen wir uns viel Zeit. Jene des Sterns berichtet davon, dass weniger mehr, viel mehr ist und wird mit Martin, seinem Team und nicht zuletzt mit unseren Gästen lebendig. Das ist ein kreativer Prozess.»

Farbige Explosionen

Viele Menschen haben während Monaten gedanklich am Stern gefeilt mit dem Ziel einen Ort zu schaffen, wo der Lunch, wo das Dinner zur Auszeit wird. Ein Ort mit gezielten farbigen Explosionen. In den 700 Jahre alten Räumen schiessen üppige florale Installationen der jungen Künstlerin Jenni Tschugmell aus Fenstern, Nischen und Balken. Auf der leuchtend grünen Karte stehen lediglich acht Gerichte, welche oft wechseln, damit es stetig Neues zu entdecken gibt: Bestellt werden zwei bis acht Gänge. Raffiniert dabei ist, dass die Tellergrössen variieren. Probiere ich das ganze Menu, gibts weniger aufs Mal. Habe ich lediglich Lust auf zwei Gerichte, sind die Portionen grösser. Auch das Essen selbst erzählt Geschichten: «Mühlethal – Mumbai» zum Beispiel sind regionale Forellen mit Süsskartoffeln, Linsen und Lauch, komponiert von Sanny, welcher das farbenfrohe Flair seiner indischen Heimat in die Luzerner Küche bringt. Oder der Klassiker «Waldorf Astoria», bekannt als Salat mit Sellerie, Walnuss, Orange und Schnittlauch, der im Stern als Suppe serviert wird und bereits für so manches Fragezeichen an den Tischen gesorgt hat: «Wenn ich jeweils anstelle einer Gabel den Suppenlöffel eindecke, ist die Irritation gross,» schmunzelt Martin. «Die Gäste lassen sich jedoch gerne auf Experimente ein und verstehen unseren Humor. Den persönlichen Austausch mit einem Augenzwinkern, jener ist mir wichtig.»

Meine Auszeit im Stern ist vorbei. Die massive Holztüre fällt hinter mir ins Schloss. Was ich in seinem Innern erlebt habe war eine Überraschung: jener Hauch grosse weite Welt mit einer Portion Innerschweizer Bodenständigkeit. Gerne wieder.

Bild & Text: Jessica Heller / Tavolago AG